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Gastartikel: Aus der Sicht einer Nicht-Sehenden

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Bei folgendem Artikel handelt es sich um einen Gastartikel von Christine Kahlert, auch bekannt unter dem Pseudonym Rothaut. Sie ist von Geburt an blind, PC und Internet stellen für sie aber wichtige Kommunikationsmittel dar. Sie ist ehrenamtliche Beta-Testerin des Screenreaders Window-Eyes und als Mitglied des Teams der beiden großen deutschsprachigen Mozilla-Communities camp-firefox.de sowie thunderbird-mail.de unterwegs, wo sie ein besonderes Auge auf die Zugänglichkeit der Produkte hat.

Seit der Computer nicht nur in unseren Büros, sondern auch in unseren Haushalten Einzug erhalten hat, hat sich auch für Menschen mit körperlichen Einschränkungen vieles verändert; vieles positiv, manches leider aber auch negativ.

Zunächst hat uns der Computer einen neuen Weg zur Kommunikation miteinander eröffnet, einer Kommunikation, die Barrieren überwindet, ja sogar aus dem Weg schafft. War es bis dahin nicht möglich, dass blinde, gehörlose, an den Rollstuhl gebundene Personen miteinander ohne fremde Hilfe kommunizieren konnten, so war das Briefeschreiben am PC schon eine echte Brücke zwischen den Menschen. Ein gehörloser Anwender konnte Dinge aufschreiben, die er einen blinden Kommunikationspartner nie hätte mitteilen können, und dieser konnte den Brief am PC lesen und auch antworten.

Ich erinnere mich auch noch, ehe ich Maschine schreiben lernte, dass ich vom Internat Briefe nach Hause schrieb, meine Familie sich zwar redlich bemühte, die Brailleschrift zu lernen, aber meist endete das so, dass ich die Briefe selber vorlesen durfte, wenn ich heimkam. Umgekehrt musste ich mir Briefe immer vorlesen lassen, die ich bekam.

Ehe das Internet kam haben wir, als ich den ersten DOS-Rechner hatte, das Problem mit Disketten gelöst, die wir hin- und hergeschickt haben. Dann kam das Medium E-Mail und machte das alles bequemer.

Das Internet erschloss außerdem eine Menge von Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten. Mit dem Betriebssystem Windows kamen jedoch auch schon die ersten Barrieren, aber findige Programmierer und Entwickler brachten gleich die ersten Screenreader auf den Markt. Das sind Programme, die dem blinden und stark sehbehinderten PC-Anwender den Bildschirm ersetzen, dessen Inhalt mit Sprachausgabe und / oder auf einer Braillezeile ausgeben.

Das funktionierte und funktioniert so lange ordentlich, solange sich Entwickler von Programmen an vorgegebene Windows-Standards hielten, bzw. auch jetzt halten.

Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass der blinde PC-Anwender immer nur einen Ausschnitt des Bildschirms erfassen kann, bei einer Braillezeile 40 oder 80 Zeichen, je nach Länge der Braillezeile, und per Sprache halt auch nur alles hintereinander, also ein Überfliegen ist nicht möglich.

Bei Internetseiten begannen die Probleme so richtig, als Internetseiten immer bunter und grafischer bzw. beweglicher wurden. Die zu überwindenden Barrieren sind vielfältig, nämlich auch sehr verschieden für verschiedene Nutzergruppen. Einem Screenreader ist es völlig egal, wenn er weiße Schrift auf weißem Hintergrund auslesen muss, und der Anwender merkt das mitunter nicht einmal.

Ein Screenreader holt sich übrigens seine Infos, die er ausgibt, von der Grafikkarte direkt. Ein seheingeschränkter Anwender wird damit große Probleme bekommen, dafür hat ein sehbehinderter Internetsurfer vermutlich weniger Probleme mit verschachtelten Tabellen, die für einen vollblinden Surfer ein großes Hindernis darstellen können.

Ich kann nur über diesen Nutzerkreis schreiben, weil ich von Barrieren z.B. von Menschen mit Bewegungseinschränkungen der Hand etc. nur bestenfalls vom Hörensagen weiß.

Ein Programm, das keinen herkömmlichen Cursor unterstützt, bzw. nicht mit Tastatureingaben bedient werden kann, ist für mich entweder mit sehr, sehr viel Aufwand oder gar nicht verwendbar. Viele kennen sicher die Thunderbirderweiterung Birdiesync. Wenn ich das Programm öffne, begrüßt mich ein leeres Fenster. Auch ein Menü, sollte es eins geben, ist nicht auffindbar, und schon gar nicht mit der Alt-Taste anwählbar.

Eine Webseite, die ihre Links und Textbeschriftungen hinter einer Pixelgrafik versteckt, kann ich vergessen. Das gilt auch für Internetseiten, die Laufschriften und Banner aufweisen, was auf Shoppingseiten gerne zu finden ist. Auch Hilfeseiten, die nur in Bildern sprechen, helfen leider auch nicht wirklich weiter. Es wäre schön, wenn es da beispielsweise nicht nur einen textlichen Tooltip gäbe, der nur dann aufscheint, wenn man mit der Maus drüberfährt, die ja ein Screenreader Nutzer generell nicht verwendet, sondern der Text in Worten zu lesen wäre. Leider funktionieren auch die meisten Chats auf Webseiten nicht wirklich gut mit Screenreader. Man kann für die Kommunikation zwar auf Programme wie Miranda ausweichen, wo eine eigene DLL für blinde Chatter zur Verfügung gestellt wird, und wo ja einige Chatprotokolle unterstützt werden, aber ein Chat auf einer Webseite ist mühsam bzw. meist gar nicht machbar.

Oft sind es aber ganz einfache Methoden, die diese Barrieren überwinden helfen. Für Web-Entwickler ist z.B. die Seite einfachfueralle.de ein ganz heißer Tipp.

Ich weiß natürlich, dass Menschen mit Einschränkungen nur einen geringen Prozentsatz der PC-Anwender ausmachen, aber auf der anderen Seite sind sie mehr auf den Computer als Kommunikations- und Informationsmedium angewiesen als Menschen ohne Einschränkungen. Ich persönlich freue mich über jedes Programm, jede Internetseite, die wieder zugänglich gemacht wird.

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Dieser Artikel wurde von Sören Hentzschel verfasst.

Sören Hentzschel ist Webentwickler aus Salzburg. Auf soeren-hentzschel.at informiert er umfassend über Neuigkeiten zu Mozilla. Außerdem ist er Betreiber von camp-firefox.de, der ersten Anlaufstelle im deutschsprachigen Raum für Firefox-Probleme aller Art. Weitere Projekte sind firefox.agenedia.com, firefoxosdevices.org sowie sozone.de.

3 Kommentare - bis jetzt!

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  1. schrieb am :

    Hallo Sören,

    herzlichen Dank für diesen Gastartikel von Christine, weil ich immer wieder dankbar bin und es für wichtig halte, von all den Aktiven im Internet – zumindest denen, deren Namen mir was sagen – ein Stück ihres menschlichen Hintergrundes zu erfahren. Internet ist nicht nur Technik, es sind die Menschen mit ihren Gedanken, Gefühlen, Vorstellungen und wie bei Christine ihren gesundheitlichen Nachteilen, die diese Technik gestalten und entwickeln.

    Liebe Christine,

    ich danke Dir, dass Du ein Stück – und ich denke ein wesentliches – Deiner Persönlichkeit hier vorgestellt hast. Als Sehender (zumindest mit meinen Augen – an der Weisheit fehlt mir noch sehr viel) kann ich mir gar nicht vorstellen, wie es ist, blind zu sein. Im letzten Jahre habe ich einen blinden Menschen kennen gelernt, der erst mit 50 Jahren blind geworden ist und mich lange mit ihm unterhalten. Dieses Gespräch habe ich seinerzeit in diesem Blogeintrag in Worte gefasst.

    Darf ich Dich fragen, Christine, ob es einen konkreten Grund gibt, dass Du von Geburt an erblindet bist?

    Lieben Gruß an Sören und an Chrisine
    von Gerhard (Pseudonym „Naturfreund“)

  2. Christine Kahlert
    schrieb am :

    Danke Gerhard für dein Statement. Ja, es ist natürlich schon total anders, für jemanden, der erst später sein Augenlicht verliert. Ich möchte nicht entscheiden, welche Situation mehr Vor- oder Nachteile hat. Für jemanden, der lange gesehen hat, ist es sicher total hart, sich umstellen zu müssen, dafür kennt er Dinge, die ein Geburtsblinder nur vom Hörensagen kennt und sich nur vorstellen kann, ohne natürlich überprüfen zu können, ob sie der Realität entsprechen.
    trotzdem glaube ich, dass es immer besonders hart und schmerzlich ist, etwas zu verlieren.
    Und wie alle Menschen, sind auch blinde personen völlig von unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Charakter. Z. B. wäre ein Führhund so ziemlich das letzte, was ich mir zulegen würde, ich mache um jeden Hund einen Riesenbogen.
    Ich kam mit grünem und grauem Star zur Welt.
    Ich denke auch nicht, dass ich, und da kenne ich viele Kollegen, die ganz ähnlich empfenden, die Blindheit als Krankheit ansehen, sondern einfach als Einschränkung, mit der man aber durchaus ein Leben mit Qualität führen kann, wenn Umgebung und Mitmenschen das zulassen und man auch selber seinen Teil dazu beiträgt. Alles, was eine Mehrheit nicht kennt, ist gefährdet für Vorurteile, und das gilt für beide Seiten.

    Beispielsweise ist es weit verbreitet, einen blinden Menschen, der mit Begleitung unterwegs ist, zu ignorieren, bzw. über ihn zu reden, als wäre er nicht da, das kann in allen Lebensbereichen passieren, beim Einkaufen, beim Arzt, etc. Wenn ich von mir rede, das bringt mich immer auf 150, aber nicht meine Blindheit ist an dem Debakel schuld, sondern die Unfähigkeit des andern, sich vorzustellen, dass ein blinder Mensch, auch wenn er dich nicht anschaut, dich 1. trotzdem versteht und 2. und das wird noch öfter in Frage gestellt, selber denken kann. Umgekehrt ist man versucht, solchen Situationen aus dem Weg zu gehn, was die Kommunikation natürlich auch nicht grad fördert.
    Das ist nur ein Beispiel von vielen.

  3. schrieb am :

    Liebe Christine,

    . . . aber nicht meine Blindheit ist an dem Debakel schuld, sondern die Unfähigkeit des andern, sich vorzustellen, dass ein blinder Mensch, auch wenn er dich nicht anschaut, dich 1. trotzdem versteht und 2. und das wird noch öfter in Frage gestellt, selber denken kann . . .

    da stimme ich Dir voll inhaltlich zu.

    Ich habe mir angewöhnt, wenn ich von eingeschränkten wie nicht eingeschränkten Menschen etwas wissen möchte, diese Menschen zu fragen, was ich von ihnen gerne wissen möchte. Wenn ich das einfühlsam mache, habe ich immer Antworten bekommen. Und viele Menschen – davon bin ich überzeugt – sind froh, wenn sie angesprochen werden. Und wen ein Menschen aus welchen Gründen auch immer nicht antworten will, so ist das auch in Ordnung.

    Hast Du grundsätzlich Angst (falls ich Dich da richtig verstehe) vor Hunden oder lehnst Du für Dich einen Führhund ab?

    Lieben Gruß
    von Gerhard

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